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Anmerkung Regie

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Foto: Bernd Beyer
Anmerkungen der Regisseurin

Trento, Juli 2007:  Wofür brennst du? Was bewegt dich? Was empört dich? Welche Geschichte sollte die Welt kennen? Mit diesen Fragen werde ich während eines Workshops von EsoDoc, einer europäischen Trainingsinitiative für Filmschaffende, die Filmprojekte mit sozialem Anspruch entwickeln wollen, konfrontiert.

Wofür brenne ich? Was empört mich? Ich erinnere mich an das Jahr 1998. Im September 1998 lande ich mit einem DAAD-Stipendium in der Tasche in Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans. Ich bin für ein Jahr hierher in dieses kleine Land in Zentralasien gekommen, um als Studentin der Ethnologie an der Nationalen Universität zu studieren und für meine Magisterarbeit eine Feldforschung durchzuführen. Meine engste Freundin in Kirgistan, Dinara, nimmt mich für ein Wochenende mit in ihr Dorf an das Ufer eines tiefblauen Gebirgssees. Noch nie habe ich eine so faszinierende Landschaft gesehen. 5000 Meter hohe Berge auf der einen Seite des Dorfs, auf der anderen Seite breitet sich der zweitgrößte Gebirgssee der Welt vor mir aus. Ich bin atemlos vor Bewunderung. In Dinaras Heimatdorf höre ich immer wieder, dass es ein paar Monate zuvor einen Giftunfall im Nachbardorf gegeben hat. Ein LKW der Kuntor-Goldmine sei beladen mit giftigem Zyanid in einen Fluss gestürzt und habe dabei Wasser und Dorfbewohner vergiftet.

 

Am Ende des Wochenendes fahre ich mit Dinara zurück in die Hauptstadt nach Bischkek. Der Giftunfall in den Bergen Kirgistans rückt wieder in den Hintergrund. Von der Nachrichtensperre, die die kirgisische Regierung über den Unfall und seine Folgen damals verhängt haben soll, ahne ich nichts.

 

Erst 2006, als ich zusammen mit meinem Kollegen Ralph Weihermann im Auftrag von Misereor für einen Film zum Thema Goldbergbau in Peru recherchiere, beginne ich zu begreifen, was in Kirgistan passiert. In Cajamarca, Nordperu liegt die größte Goldmine Lateinamerikas. Dort sehe ich zum ersten Mal, wie ganze Berge mit giftigem Zyanid getränkt werden, um den Goldstaub aus der Erde herauszulösen. Was bleibt sind Millionen Tonnen giftigen Abraums und kontaminierten Wassers. Warum weiß eigentlich keiner, dass Goldbergbau einer der dreckigsten Geschäfte der Welt ist? Diese Frage stelle ich mir beim Anblick der aufgerissenen Berge im peruanischen Cajamarca.

 

Als ich müde vom ersten Workshoptag bei EsoDoc in mein Zimmer steige und darüber nachdenke über was ich gerne eine Film machen würde und welche Geschichte die Welt kennen sollte, geht mir Kirgistan und das vergiftete Dorf nicht mehr aus dem Kopf.  Ich fange an im Internet zu recherchieren. Eine Kurznachricht über eine Gruppe von Frauen, die in einem Dorf in der Nähe der Kumtor-Goldmine Straßenblockaden organisiert haben soll, lässt mich aufhorchen. Aus irgendeinem Grund bin ich wie elektrisiert. Vielleicht versteckt sich da eine Geschichte? Ich rufe Dinara an und bitte sie, für mich bei ihren Verwandten im Dorf zu fragen, ob irgendjemand eine Frau namens Erkingül Imankodjoeva kennt. Ihre Antwort kommt nur wenige Tage später: „Die Frau kennt jeder hier in der Region. Sie kämpft für eine Entschädigung der Dorfbewohner und bessere Umweltkontrollen.“

 

Im Herbst 2007 fliege ich das erste Mal nach Kirgistan und lerne Erkingül und die anderen Aktivistinnen der Umweltorganisation KAREK kennen. Während insgesamt sechs Drehs begleite ich Erkingül und ihre Mitstreiterinnen. Meine Drehaufenthalte in 2007 und 2008 haben noch den Charakter von Recherche-Drehs, da ich auf der Suche nach Finanzierung bin. Doch als am 7. April 2010 eine Revolution den amtierenden Präsidenten Bakiev stürzt und sich die politischen Ereignisse in Kirgistan im April 2010 überstürzen, fange ich an sehr intensiv zu drehen und folge mit meiner Kamera dem aufregenden Strom der Ereignisse im Leben meiner Protagonistinnen. Auf diese Weise habe ich die Chance den unglaublichen Werdegang Erkingüls, von einer „Frau der Straßenblockade“ zu einer Politikerin dokumentieren zu können. Durch die Annäherung an meine Protagonistinnen über vier Jahre hinweg und dadurch, dass ich alleine mit meiner Kamera vor Ort bin, ohne Übersetzerin und Team, ist zwischen uns eine Nähe entstanden, die mir nicht nur eine sehr persönliche Annäherung an meine Protagonistinnen erlaubt, sondern auch Einblicke in das Innenleben der kirgisischen Politik ermöglichen. Der Umstand, dass die Protagonistinnen während der Zeit der Straßenblockaden selbst viel filmten, macht uns zu einer Art Kolleginnen, so dass die Kamera auch mal die Seite wechselt und es immer wieder zu Diskussionen über den Film und die Machart von Filmen kommt. Das verleiht dem Film einen stark dialogischen Charakter mit Gesprächen zwischen der Filmenden und den Menschen vor der Kamera. Dadurch rückt die Ebene der Entstehung und die Anwesenheit einer Filmemacherin für den Zuschauer immer wieder ins Bewusstsein und es wird klar, dass hier nicht vorgegeben wird „die Realität“ abzubilden, sondern dass die dokumentierten Situationen durch meinen spezifischen Blick gefiltert sind. Damit stelle ich als Filmemacherin meine „Interpretationsallmacht“ zumindest teilweise zur Disposition.

 

Unabhängig vom Drehort berührt die filmische Beobachtung des Alltags dieser Umweltaktivistinnen in einem kirgisischen Dorf für mich ein universales Thema: Sie lotet die Beweggründe für politisches und soziales Engagement aus und geht der Frage nach, was passiert, wenn Menschen beschließen, Widerstand zu leisten und für ihre Ideale einzustehen. Gleichzeitig erzählt der Film aus der Sicht „einfacher“ Frauen auch von einem globalen Thema: dem Kampf um Rohstoffe und dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Politik eines Landes.

 

Nach Aufträgen für WDR tag7, die story, Arte Reportage, Deutsche Welle und ORF, unter anderem in Indien, den USA, Peru, Burundi und Südafrika ist „Flowers of Freedom“ meine erste rein dokumentarisch angelegte Langzeitbeobachtung. Entscheidende Impulse für dieses Filmprojekt habe ich 2007 während der Trainingsinitiative European Social Documentary (EsoDoc) erhalten, in der Kölner Schnittwerkstatt bei der Editorin und Dramaturgin Gesa Marten, sowie während eines Kameraworkshops bei den Altmeistern des ethnographischen Films, Judith und David MacDougall am „Istituto Superiore Etnografico della Sardegna“ in Sardinien.

 

Ich freue mich sehr mit diesem Film ein politisches und ökologisches Thema aus Zentralasien in die Festivallandschaft hineinzutragen. Ich finde das umso wichtiger, als Zentralasien und Kirgistan in den Medien immer wieder auf einen exotischen Ort an der Seidenstraße mit Yurten, Pferden und traditionell lebenden Menschen reduziert wird. Filme, die die Menschen und das Land in den Kontext einer sowjetischen Vergangenheit und einer globalisierten Gegenwart stellen, gehören meiner Meinung nach zur medialen Grundversorgung.  

 

Diesen Film gäbe es nicht ohne Kadyr Ata und meine "große Schwester" Dshamila in Bischkek/Kirgistan. Dshamila lehrte mich die Kunst der Gastfreundschaft und zeigte mir, dass es "nur" eines Tisches, etwas zu essen und Menschen braucht, die sich um diesen Tisch herum versammeln und mit offenen Ohren und Herzen zuhören, um einem das Gefühl zu geben, Willkommen und Zuhause zu sein. Eine fundamentale Erfahrung, die mein Leben auf immer verändert hat. Ohne Dshamilas Gastfreundschaft hätte ich nie den Mut und die Stärke aufgebracht, immer wieder alleine mit der Kamera ins Dorf Barskoon loszuziehen. Archadai chong rahmat Dshamila eje!!!! 

 

Sandra Brandl aus Köln danke ich für die Montage des Films. Sieben lange Jahre begleitete sie mich bei der Entstehung von „Flowers of Freedom“ und half, den Film zum "Erblühen“ zu bringen. Ebenso danke ich Christian Vizi, der den Film mit mir koproduziert hat und dafür Sorge trug, dass ich bei meinen Ideen und meiner Intuition geblieben bin. Nazira Kasenova danke ich für ihre wunderbare Übersetzung und dafür dass sie ihre Sichtweise als Ethnologin und Frau aus Kirgistan in den Schnittprozeß mit eingebracht hat. Marian Otto danke ich für die Begleitung des Films über mehrere Jahre hinweg, die dramaturgische Beratung in Krisenzeiten und für den Schnitt des Trailers. Meinen Bürokolleg*nnen Lisa Glahn,  Bettina Braun und Frank Schreiber danke ich für ihre kontinuierliche fachliche Beratung und freundschaftliche Unterstützung während der langen Schnittphase des Films. Danke auch an Kerstin Klenke, die bei der Premierenfeier in Berlin und Köln mit zentralasiatischem (p)ost-block-pop für eine einzigartige Stimmung und Tanzlaune gesorgt hat. Ein riesengroßer Dank geht an meine Freundinnen und Kolleginnen Renate Werner, Ute Bender und Sabine Müller und die mehr als sechzig Menschen, die für die Reisekosten der Protagonistinnen gespendet haben! Auf diese Weise konnten wir zur Premiere auf der Berlinale 2014 Erkingül Imankodjoeva, Asel Orumbaeva und Sadisha Konokbaeva aus Kirgistan einladen und ein Jahr später zum Kinostart Tamara Djusheeva und Bübükan Ormonova, ebenfalls aus Barskoon/Kirgistan. Vielen, vielen Dank für eure großzügige Spenden! Cyrill Tjoa, Elisabeth Leuze, Katharina Alpers, Dinara Musaeva-Gallant, Gerhilt Haak und Michaela Eiternick, ohne euch gäbe es den Film vermutlich nicht. Danke!

 

Zu guter Letzt gebührt mein Dank ganz besonders all den Menschen, die mir während meines Drehs in Kirgistan ihre Türen geöffnet haben, die mit mir ihr Brot, ihren Tee und ihren Zucker geteilt haben und vor allem ihre bewegenden Geschichten! Danke, Spasiba, Rahmat! Baktylu bolgula!